Dienstag, 19. Februar 2008

Tough Guy 2008

Kindergeburtstag für Erwachsene - Mythos Tough Guy.


(Laufbericht 2008, Heike Bogdanski)

Der Tough Guy ist ein Cross-Country Hindernislauf in Perton in der Nähe von Birmingham. Extremer Schlamm, hohe Hindernisse, eiskaltes Wasser, Stacheldraht, Betonröhren, feuriges Stroh und nicht zuletzt der Termin Ende Januar zeichnen die Strecke aus und sind die Basis des Mythos. Organisiert wird das Ganze von „Mr. Mouse“ Billy Wilson, der Erlös dient wohltätigen Zwecken. Die Herkunft von Billy Wilson lässt sich nicht verleugnen, in seinem vorigen Job entwarf er Trainingscamps für die Elitetruppen. Stacheldraht und grässliche Namen für die Hindernisse wirken schon abschreckend: „Vietcong Tunnel“ und „Stalag Escape“ wären nicht meine erste Wahl für die Namensvergabe.

Wer meldet sich wohl hier an? Ist das nun eine Veranstaltung für verhinderte Militaristen? Zur Verherrlichung des Männlichkeitswahns? Sind es Zickengruppen im Emanzipationsfieber? Dient es der Selbstfindung für Manager? Geht es um den sportlichen Wettkampf? Wollen sie alle Spaß? Und vor allem: Was mache ich hier?

Der Tough-Guy wird überall als der härteste Lauf der Welt verkauft. Alle Bilder im Internet zeigen martialische Aktionen und in den Foren werden Heldentaten berichtet. Was davon wahr ist und was Angeberei, werde ich in Kürze herausfinden.


Als Wisitor (!) aus dem fernen Germany habe ich das Glück, in der zweiten Gruppe zu starten. Mr. Mouse, der Organisator, brüllt unverständliche Kommandos durch sein defektes Megafon. Wer wann wohin muss, bleibt mir verborgen. Im Pranger auf dem Starthügel werden Sportler abgestraft; wofür weiß ich nicht. Zeitnahme gibt es auch nicht, dafür eine schöne Dudelsack–Combo im Kilt. Die Töne aus dem Megafon werden schriller, die Dudelsäcke geben ihr Bestes, plötzlich Rauch und Männer-Gebrüll, jetzt ist wohl der Start. Ich rase los, grinsend, die Country Miles rufen.

Die Country Miles wurden dieses Jahr stark gekürzt, da die Nachbarn auch am finanziellen Erfolg der Veranstaltung partizipieren wollten, und für das Darüberlaufen Geld verlangt haben. Zusätzlich hatten Vandalen am Ende durch umhängen der Markierungen die Strecke weiter verkürzt.

So blüht uns statt vergleichsweise gemütlichen Laufens mehr fiese Aktion.
In Schlangenlinien den Berg hoch und runter. Optisch ist es ein Genuss, wie die bunte, brüllende Läuferschlange den Hang entlang mäandert, für die Oberschenkel ist es eine harte Prüfung.

Im Wald geht’s abwechselnd über die runden, glitschigen, in Plastik verpackten Strohrollen und dann unter hüfthohen Netzen durch, die einen in eine devote Haltung zwingen. Ich scheitere mit meiner Technik schon am ersten Ballen. Der Kampf mit den glitschigen Dingern hört nicht auf. Drüber klettern, drunterherlaufen, drüberklettern, drunterherlaufen, drüberklettern….eigentlich hab ich jetzt schon keine Lust mehr.

Ein Gerücht besagt, wenn man erst mal nasse Füße habe, dann sei alles egal. Ich habe es geglaubt. Nur leider stimmt es nicht. Es ist und bleibt ein Gerücht. Die erste Flussdurchwatung ist ein Schock, nur knöcheltief zur Eingewöhnung. Meine Füße gefrieren. Blitz-Eis. Weiter bis zu den Knien, zu den Oberschenkeln. Meine Füße sind erstarrt. Soweit ich mich erinnere, blieben sie es für den Rest des Laufs.

Dazu kommt das neue Fußbett, das der Schlamm sofort in meinen schicken Schuhen geformt hat. Dieses schlammige Fußbett zwingt meine Füße in eine ungewohnte Position und ist erstaunlich stabil und begleitet mich ebenfalls für den Rest des Laufs.

Nach den Country Miles kommen die Killing Fields. Hier sind alle Hindernisse in einem buntern Strauß bösester Herausforderungen gebündelt: Kriechen, vorzugsweise im Schlamm, klettern, balancieren, springen, laufen, tauchen.

Nach dem ich easy über den acht Meter hohen „Tiger“, ein Gerüst aus Holzstämmen (dessen Konstruktion dem TÜV die Tränen in die Augen getrieben hätte) geklettert bin, kann ich die „Colditz Walls“, drei senkrecht aufragende Holzwände, bezwingen. In meinen Träumen bin ich hier gescheitert. Jetzt fängt das Ganze an, mir wieder Spaß zu machen. Besonders das Klettern fällt mir leichter als gedacht, und die Kraft reicht auch aus.

Vorbei ist der Spaß erst wieder, als ich in die Bütt muss. Gestern von außen war es noch ein romantischer kleiner Tümpel, Gänse weideten und die Sonnenstrahlen glitzerten friedlich. Heute, mit den Augen auf Höhe der Wasseroberfläche, ist es ein aufgewühlter braun-schmutziger riesiger See. Schreiende Teilnehmer haben die hübschen Gänse vertrieben. Mitten im See liegt der berüchtigte Underwater Tunnel. Eiskaltes Wasser. Underwater heißt leider konkret: auch mit dem Kopf ganz rein! Und das ist die Hölle. Nach dem ersten Auftauchen aus der Eisbrühe bin ich kurz davor zu verweigern. Ich hechele und habe trotzdem den Eindruck, keine Luft zu bekommen. Nächster Tauchgang. Noch einer. Raus hier. Ich schwimme, aber komme nicht vorwärts. Endlich kann ich an Land kriechen wie ein sterbender Lurchi.

Die Zuschauer empfinde ich plötzlich als sensationsgeile Gaffer. Das liegt aber vielleicht eher an mir. Erwachsene, die sich unnötigerweise schmutzig machen, Spaß ohne Vernunft, Anstrengung ohne Benefit, das ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Daher soll mich niemand beobachten, wie ich mich hier austobe.

Schlamm drüber. Ist doch egal. Ich habe viel Geld gezahlt, um hier zweieinhalb Stunden mal richtig ausführlich zu klettern und zu laufen. Ehrlich gesagt: es macht Riesenspaß. Und die Zuschauer sind wahrscheinlich nur bewundernde, mitfühlende Familienangehörige, die ihren Lieben heißen Tee reichen und sie anfeuern.


Die folgende Kletteraktion bringt den Kreislauf wieder auf Schwung, aber der Sprung von der zwei Meter hohen Planke in den nächsten See liegt noch vor mir. Auch dieses schreckliche Erlebnis bringe ich ruck-zuck hinter mich. Ab jetzt versuche ich den Kontakt mit Wasser zu vermeiden, auch wenn ich auf schwankenden Seilen über den See muss. Vor und hinter mir auf den Seilen versuchen sich ebenfalls lauter ungeübte Akrobaten als körperdebile Klammeräffchen; das macht die Sache nicht einfacher.

In den Wartezeiten vor überfüllten Hindernissen kann ich Konversation mit höflichen jungen Männern führen, die auch gerne mal ihre Deutschkenntnisse an mir ausprobieren wollen. Während des Kletterns erleichtert gelegentlich eine sportliche, mehr als faire helfende Hand vor einem Hindernis die Sache ungemein. Aufmunternde Lieder im Stil von „Zicke Zacke hoi hoi hoi“ (oder so ähnlich) schallen unmelodisch aber laut durch das ehemals friedliche Tal und heben die Moral. Aber auch rücksichtslose Schubser kreuzen meinen Weg und schwankende Gestalten, die sich in meinem Arm festkrallen.

Die engen dreckigen Betonröhren liegen noch vor mir und mich befällt kurzzeitig eine klaustrophobische Angst. Nix wie durch. Das gestaltet sich aufgrund meiner Größe schwierig, da ich nicht auf allen Vieren, so wie mein zwergenhafter Vorgänger, durchspurten kann, sondern mich auf dem Bauch nur mit dem Einsatz der Arme durchrobben kann. Und das Ganze auch noch Richtung bergauf.

Auf dem riesigen Klettergerüst mit den schönen blauen Seilen, die kunstvoll zu einem stabilen Netz geknüpft waren, werde ich wieder fröhlich. Welche ein toller Spaß! Was hätte ich als Kind für so eine wunderbare Kletterwelt gegeben. Manche Wünsche werden spät war.

Es hat sich gelohnt. Das Label "Härtestes Rennen der Welt" und eine fette Medaille geben mir öffentliche Rechtfertigung zum Hiersein. Der Spaßfaktor im Klettergerüst und im Matsch ist meine persönliche und geheime Rechtfertigung zum Betreten dieses grandiosen Kinderspielplatzes.

Ein bisschen stolz bin ich doch, als ich nach gut zweieinhalb Stunden im Ziel einlaufe und mich ich die knisternde Rettungsdecke wickele. Zwei Becher heißen süßen Tees und die Welt ist wieder in Ordnung.

Die Schuhe kommen in die Waschmaschine. Meine blauen Flecken werden verschwinden und der Muskelkater wird vergehen. Aber ich werde für immer ein Tough Guy bleiben.

Was macht es da, dass Vito mit einer Stunde Laufzeit wieder mal Erster ist und ich irgendwo bei Platz 2200 rumdümpele. Die Anzahl der Starter wird wohl das Geheimnis von Mr. Mouse bleiben, was auf das liebenswerte Chaos beim Start und das komplette Fehlen jeglicher Messinstrumente zurückzuführen ist. Auch eine Nettozeit sucht man so vergeblich, und beim Zieleinlauf werden die Finisher von Hand in dubiose Listen eingetragen. Ungefähr 2.900 Teilnehmer kamen innerhalb von ungfähr dreieinhalb Stunden ins Ziel. Das ist die genaueste Statistik, die ich bieten kann. Und das reicht auch aus.

Wen interessiert schon eine Uhrzeit auf dem Spielplatz. Hauptsache man kommt nach Hause, bevor die Straßenlampen angehen.






5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wundervoll! Ich lese es immer wieder mit großem Vergnügen. ein paar mehr Fotos hätte ich gern....

Wolfgang hat gesagt…

Gratulation, nicht nur für den tollen und eindrucksvollen Bericht, sondern natürlich auch für Deine super Leistung

Anonym hat gesagt…

Ein sehr beeindruckender Bericht, ein noch mehr beeindruckender Lauf, und Hut ab vor der mutigen Läuferin, ich glaube, so etwas hätte ich nicht getan, aber man soll ja nie nie sagen.

Super gemacht - Du hast meinen vollen Respekt !

Kullerbein hat gesagt…

Meine Lieben, vielen Dank ich bin stolz auf Euer Lob.

Anonym hat gesagt…

Finde ich super - und warum nicht Abenteuerspielplatz für diue Großen.
Glückwunsch.

Ulf